Mathias Kadolph ist Bildhauer und arbeitet, wenn er mit seinem bevorzugten Material, dem Holz, umgeht, im klassischen Sinne skulptural: Er nimmt Substanz weg, um aus dem Holzstück oder Stamm das herauszuarbeiten, was er in ihnen angelegt sieht.
Sein Oevre umfasst Skulpturen, die aus einem Stück bestehen oder aber auch aus mehreren Teilen additiv zusammengefügt werden, raumgreifende Bodenarbeiten, Klein- und Wandskulpturen. Auch eigenständige Zeichnungen gehören dazu. In seinen seriellen Arbeiten tauchen spezifische Module mehrfach auf. Diese Module unterscheiden sich jedoch durch die sichtbare persönliche Handschrift des Künstlers, seine Arbeitsspuren.
Stammabschnitte, meist mit großem Durchmesser, aber auch Mittelformate, oder Holz von besonderem Wuchs bilden in seinem Atelier eine Sammlung, über Jahre hin entdeckt, zufällig gefunden oder erworben.
Kein künstlerisches Material birgt nur seine materiellen Eigenschaften in sich. Das gilt wohl für Holz mehr als für jeden anderen Werkstoff.
Der Wald, speziell Bäume sind für alle Völker und Kulturen gefühlsmäßiger und geistiger Erfahrungsraum. Besonders die Romantiker waren beseelt von der Energie der Bäume und betrachteten sie als Spiegel des Bewusstseins. Gerade in dieser Epoche wird der Baum zum zentralen Thema der Dichtung, Musik und Bildenden Kunst.
Holz wird aus Bäumen gewonnen. Mit Bäumen fühlt sich der Mensch verbunden. Vielleicht, weil man mit dem Baum eine menschliche Gestalt assoziieren kann, vielleicht auch, weil der Mensch von den Früchten, dem Holz und dem Sauerstoff lebt, die Bäume produzieren. Wichtiger aber ist: Ein Baum verkörpert Beständigkeit im Wandel, lebendige Kontinuität, Lebensdauer. Bäume stehen für ein unserer Alltagswelt entgegengesetztes Zeitmaß, sie wurzeln buchstäblich in ferner Vergangenheit und sind so ideale Verkörperungen von Entschleunigung und Besinnung.
Wenn Mathias Kadolph sich für Holz als seinen wichtigsten, fast einzigen Material entscheidet, dann arbeitet er nicht nur mit dem „lebendigen Material Holz“ (so nennt es der rumänisch-französische Bildhauer Constantin Brancusi), sondern zugleich auch mit einem, wie zuvor geschildert, emotional und kulturgeschichtlich belegtem Material. Der Künstler ist sich dessen natürlich bewusst, denn seine Skulpturen entwickeln sich aus dieser inneren Verbundenheit mit dem Material und führen auf der Ebene einer kognitiven Auseinandersetzung mit der Einzigartigkeit der natürlich gewachsenen Form in einem vielschichtigen Prozess zum endgültigen Kunstwerk. Das schlafende „Lied in allen Dingen“ zum Klingen zu bringen, wie Josef von Eichendorff es nannte, das Schauen und Ahnen, das fasziniert auch Mathias Kadolph. Er sucht nach dem „Losungswort“.
Die Beschäftigung mit dem Holz und seiner fast individuellen Energie erfordert viel Zeit. Über das Medium der Zeichnung, die nicht als Entwurfsskizze zu verstehen ist, entwickelt Mathias Kadolph Konzeptionen und Kompositionen und fixiert seine Vorstellungen auf dem Papier, jedoch nicht in Form eines detaillierten Bauplanes, sondern als eigenständiges künstlerisches Format.
Der gedankliche Entstehungsprozess zeigt sich in bewegten Linien, Entwerfen und gleichzeitiges Verwerfen stehen neben- und übereinander, sind ablesbar, verdichten die Komposition, schärfen die Kontur, rhythmisieren den Raum und das Volumen und beschreiben letztendlich die Dynamik eines offenen Prozesses.
Das freie, ungebundene Spiel von Wissen, Erfahrungen, Emotionen und Zufälligem dokumentiert sich auf dem Papier, führen zu einer spannungsgeladenen Symbiose in der Form, deren Charakteristik aus dialogischen Thesen und Antithesen besteht, beispielsweise aus Bewegung, Statik, Balance, Narration, Abstraktion, Monolithischem und Additivem.
In den Skizzenbüchern von Mathias Kadolph werden Ideen zeichnerisch fixiert, räumlich gedacht, um zunächst als Tonmodell in die Dreidimensionalität übertragen zu werden. Auch danach, bei der Arbeit am Holz, sind spontane Richtungsänderungen möglich, um die Essenz aus dem Entwurf in Klarheit herauszuarbeiten.
Nach Form-Verwandtschaften des unbearbeiteten, gewachsenen Holzstücks mit seinen Verwandlungsmöglichkeiten zu suchen, seinen nicht-materiellen Eigenschaften und Inhalten nachzuspüren und diesen Inhalten eine Form zu verleihen sowie sich mit Fragestellungen im Hinblick auf Raum und Form auseinanderzusetzen, sind Motivation und Intention des künstlerischen Schaffens von Mathias Kadolph.
Im Atelier bearbeitet Matthias Kadolph unterschiedliche Holzgrößen im Wechsel, Arbeiten werden hervorgeholt, um sie neu zu betrachten und zu bearbeiten, andere werden wieder unvollendet weggestellt. Dieses Ruhenlassen, um unterschiedliche gestalterische Herausforderungen neu zu entdecken, ist ein wichtiger Prozess. Anders gesagt, das unbedingte Offenhalten des Werkes bis zur Vollendung ist von großer Bedeutung. Die Freude am Schaffensprozess und am kreativen Spiel kommt in den Werken Mathias Kadolphs deutlich zum Ausdruck.
Viele Skulpturen sind farbig gefasst, in Weiß oder Blau-Schwarz. Die Entscheidung der farbigen Fassung hängt für Mathias Kadolph von der künstlerischen Intention und der Holzart ab. Farbigkeit und Oberflächen korrespondieren, denn sie verweisen oftmals unbewusst auf weitere Bedeutungsebenen. Zudem bewirkt der jeweilige Farbton eine Abstraktion weg vom Material hin zur Form.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts löste sich die Kunst von Figur, Nachahmung und Akademismus, es entstand ein neues Formverständnis, das in radikalster Konsequenz in das freie Spiel von Raum, Volumen und Material mündete.
Im Gegensatz zur Malerei stehen nicht Stilelemente im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung, nicht Thema, Komposition und Farbe, sondern Fragen nach Material und Größe, Volumen und Kontur, Innen und Außen, Figur und Objekt und deren vielfältigen Beziehungen zum Raum.
Die Überwindung perspektivischer Regeln, die Einfügung kompositionell gleichwertiger Leerräume, die Kombination verschiedener Materialien und vor allem die Reduktion aller Formen auf geometrische Grundelemente brachen nachhaltig mit der traditionellen Bildhauerei, die sich bis dahin an realen Vorbildern orientierte.
Mit diesem neuen Weg, der sich vor allem zwischen den beiden Weltkriegen eingeschlagen wurde, entstand die Einbeziehung des Umraumes durch den Bildhauer, die Konstruktion einer Skulptur oder Plastik mittels Hohlräumen und Volumen, die Form aus Fülle und Leere, deren Abwechslung und Kontrastierung, deren andauernde wechselseitige Spannung und – zuletzt – deren Gleichgewicht. Der Künstler schlüpft dabei oftmals in die Rolle der Architekten und Ingenieure.
Zum skulpturalen Thema werden aber auch nicht greifbare Phänomene wie das Licht, das sich auf Oberflächen oder in Durchbrüchen spiegelt und die Musik. Volumen brechen auf, Massen lösen sich und setzen sich in Bewegung. Auf diese Entwicklungen, künstlerischen Intentionen und freien Möglichkeiten der modernen Skulptur nehmen auch die Arbeiten Mathias Kadolphs Bezug. Seine Werke sind mit dem gerade geschilderten Blick auf die Skulptur der Nachkriegsmoderne zu betrachten.
Mathias Kadolph, Jahrgang 1957, studierte nach dem Abitur zunächst Architektur an der Universität Hannover. Sein Interesse an freien plastischen Arbeiten und an der Skulptur führten zu der Entscheidung, das Architekturstudium aufzugeben und stattdessen an der Fachhochschule Hannover bei Prof. Rogge Bildhauerei zu studieren. 1989 schloss Mathias Kadolph das Studium mit dem Diplom ab. Seine Biografie bedingt somit eine gewisse Affinität zur Architektur: Fragmentarische Zitate von Raumkomponenten finden Eingang in die Formensprache seiner Werke, beispielsweise Be- und Entgrenzungen, Durchdringung des Raumblocks, Binnenräume, Brücken, Treppen und Tore, Fenster und Fassaden, Dialog der Formen mit Licht und Luft.
Seine bildnerischen Formulierungen verzichten auf Monumentalität, emanzipieren sich von Analogien. Das Holz trägt die Komposition, Abstraktes reibt sich an Abbildhaftem, Reduktion an Leichtigkeit und Spiel.
Sie scheinen den Schwingungen und dem Fließen von Musik zu folgen (Mathias Kadolph ist vielen Komponisten eng verbunden). Diese lässt sich auch in vielen Titeln der Arbeiten ablesen: „just the two of us“, ein Song von Bill Withers und Grover Washington, Jr., „rondo“ oder „staccato“, um nur einige zu nennen.
Mathias Kadolph fasziniert die Auseinandersetzung mit dem Raum. Mentale und körperlich fassbare Passagen seiner Werke machen die Simultanität von Zeit und Sphärenraum erfahrbar. Er versteht Dreidimensionalität in zweifacher Hinsicht, nicht nur als physikalische Tatsache, sondern auch als geistigen, physischen Spielraum, in dem der Mensch agiert. Er sagt: „Ich spüre die Begrenztheit, Eingebundenheit in ihrer Widersprüchlichkeit auf, und überwinde sie bewusst, um den Dialog aktiv nach außen zu richten.“
Bildhauer schneiden nicht nur in ein Material, sondern schneiden mit der Skulptur auch in den vorgegebenen Raum hinein und verändert ihn. Die Bildhauer der Moderne brechen mit der Vorstellung, Skulptur sei etwas, dem man als Betrachter gegenübertritt, ein zwar am selben Ort existierendes, aber doch ganz und gar in sich selbst ruhendes Gebilde.
Skulptur und Plastik werden zum Erfahrungsareal. Bei der Betrachtung entsteht ein Dialog zwischen der Materialität des Holzes und seiner Oberfläche, den Leerstellen des Raumes, die die Form umschreibt, innerhalb des Kunstwerkes und um das Kunstwerk herum, und den Komponenten Zeit während der Betrachtung. Ausstellungsräume sind daher wichtige Träger dieses oft unbewussten Prozesses, sie beeinflussen, verändern Aussagen und Wirkungen. Kunstwerke treten aus der Isolation des Ateliers an einen lebendigen Standort. Tageszeitliches Licht verändert die Wirkung des Kunstwerks, ebenso wie die architektonische Elemente oder Interieur der Umgebung. Mathias Kadolphs Arbeiten sind nicht ausschließlich für einen bestimmten Ort konzipiert, vielmehr für eine Fülle von Möglichkeiten der Begegnung im Innen- oder Außenraum.
Diese ambivalenten Ausdrucksmöglichkeiten in der Skulptur zum „Klingen“ zu bringen und aufzuspüren und in eine künstlerisch-gestalterische universelle Formensprache zu übertragen, ist eine der wichtigen Intentionen Mathias Kadolphs. Seine Arbeiten sind als prozessuale Kraftfelder mit unterschiedlichen Erfahrungsebenen zu verstehen. Wer Wahrnehmung als erweitertes Denken mit allen Sinnen begreift, erkennt die zwischen unterschiedlichen gegensätzlichen Polen sich ausspannenden Zusammenhänge.